Die Haftung von Betreibern von Meinungsforen (mit Praxistipp)

Rechtsanwalt MedienrechtAuch wenn das jüngste Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5.12.2005 (324 O 721/05) viele Internet-Forumsbetreiber aufgeschreckt haben mag – so „wild“ wie es das LG Hamburg sieht, wird die Sache nicht bleiben. Ärgerlich ist allemal, dass sich nun – wie Heise-Online zutreffend berichtete – alle Abmahnungen gegen Rechtsverletzungen in Meinungsforen auf dieses Urteil berufen und den Forenbetreiber in „Erklärungsnot“ bringen können.
Dass die Haftung eines Forenbetreibers nicht von allen Gerichten so eingeschätzt wird, zeigt z.B. ein Urteil des LG München I vom 8.12.2005 (7 O 16341/05), veröffentlicht in MMR 2006, S. 179 ff (mit Anmerkung des Verfassers).

Es bleibt nun dem Oberlandesgericht Hamburg in der Berufung überlassen, die Sache wieder „gerade zu rücken“.

Denn das Urteil bezieht sich zwar auf die presserechtliche deutsche Rechtsprechung. Es verkennt allerdings die Besonderheiten des Mediums Internet und missachtet damit wesentliche Grundsätze der europarechtlichen Vorgaben (E-Commerce-Richtlinie) und weicht in wesentlichen Punkten von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab.

Kurz zusammengefaßt stellt sich die Haftung eines Meinungsforumsbetreibers nach der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Literatur wie folgt dar:

I. Der Forenbetreiber wird auf Schadensersatz in Anspruch genommen

Der Forumsbetreiber ist Telediensteanbieter nach §3 Nr. 1 Teledienstegesetz (TDG). Da er lediglich eine Plattform bereitstellt, in die die Nutzer des Forums ihre eigenen Inhalte einstellen, speichert er fremde Informationen und ist sog. Host-Provider nach §11 TDG. Gem. §8 Abs. 2 TDG ist er nicht verpflichtet, die ihm übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Dieses Verbot einer Überwachungspflicht ist Ausfluss des Art. 14 der europäischen E-Commerce-Richtlinie und war für den deutschen Gesetzgeber beim Verfassen des TDG zwingend zu beachten.

Vorsicht ist allerdings geboten bei moderierten Foren. Denn im Einzelfall kann es passieren, dass über eine Vorabprüfung und Vorauswahl der Inhalte durch Moderatoren die eigentlich fremden Inhalte „sich-zu-Eigen-gemacht“ werden und damit nach §8 Abs. 1 TDG zu eigenen Inhalten werden. Dies kann dann der Fall sein, wenn Inhalte eines Nutzers bewusst dergestalt übernommen werden, dass ein Außenstehender nicht mehr erkennen kann, dass es sich um fremde Inhalte handelt.

Der Internetforumsbetreiber kann sich im Falle eines Schadensersatzesbegehrens im vollen Umfang auf die Haftungsprivilegierung des §11 TDG stützen. Er haftet grundsätzlich nicht, da er lediglich die Plattform zur Verfügung stellt.
Nach §11 Nr. 1 TDG haftet er nur dann, wenn er Kenntnis von der rechtwidrigen Handlung oder der Information hat und ihm im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird. Ein Forenbetreiber haftet auch dann, wenn er nicht unverzüglich tätig geworden ist, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald er diese Kenntnis erlangt hat.

Die bedeutet in der Praxis, dass der Forenbetreiber auf eine konkrete Rechtsverletzung hingewiesen werden muss, eine Überwachungspflicht gibt es nicht. Diese sog. „erste Abmahnung“ ist für ihn nicht kostenpflichtig! Erst wenn er den Beitrag mit der Rechtsverletzung im Anschluß nicht entfernt, kann er sich wegen §11 Nr. 2 TDG nicht mehr auf die Privilegierung des Teledienstegesetzes berufen und kann kostenpflichtig abgemahnt werden.

II. Der Forenbetreiber wird auf Unterlassung einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen

Abmahnungen liegen häufig Ansprüche auf Unterlassung einer Rechtsverletzung zugrunde. Hier ist die Rechtslage etwas anders, da die Haftungsprivilegierung des TDG nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht auf Unterlassungsansprüche bezieht.

Hier wird meistens argumentiert, dass der Forenbetreiber als sog. (Mit-)Störer hafte, da er an der durch den Nutzer begangenen Rechtsverletzung durch die Bereitstellung der Plattform mitgewirkt habe. Allerdings ist – wie der BGH in der maßgeblichen Entscheidung Rolex ./- Ricardo (vom 11.3.2004, I ZR 304/01) zur Verantwortlichkeit von Internetauktionshäusern als Host-Provider feststellte – zu berücksichtigen, dass der Plattformbetreiber selbst die Rechtsverletzung nicht begangen hat.
Es wird deshalb im Einzelfall geprüft, ob dem Forumsbetreiber nach den Umständen eine Prüfung auf die Rechtswidrigkeit der Inhalte zuzumuten ist.

Ob eine solche Prüfung zumutbar ist, wird nach den folgenden Kriterien beurteilt:
•    Intensität der Rechtsverletzung oder der Rang der betroffenen Rechtsgüter
•    die Nützlichkeit oder Unerlässlichkeit des Dienstes für die Netzkommunikation (Sozialadäquanz des Providerhandelns)
•    die Auswirkungen der Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit
•    die technisch und wirtschaftlich zumutbaren Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle der Inhalte durch den Provider
•    ob der Provider einen wirtschaftlichen Nutzen aus seiner Tätigkeit zieht

Gerade in der oben zitierten Entscheidung des BGH zu Internet-Versteigerungen haftete das Auktionshaus, da es letztendlich wirtschaftlich einen Nutzen aus der Rechtsverletzung – dem Verkauf von Plagiaten – zog.
Zwar ist zu beachten, dass schon das Platzieren eines Werbebanners auf die Site des Internet-Forums einen „wirtschaftlichen Nutzen“ darstellen kann. Freilich findet diese Interessenabwägung aber als Gesamtschau aller oben aufgeführten Kriterien statt. Nicht zu vernachlässigen dürfte auch sein, dass sich das Internetforum weit verbreitet und für die Kommunikation im Internet als üblich bezeichnet werden können.

Eine zu strenge Prüfungspflicht würde ferner den – zumindest privaten – Betrieb von Meinungsforen wegen unüberschaubarer Haftungsrisiken unmöglich machen. Möglich wären dann nur noch rein kommerzielle Lösungen, bei denen etwa „Scouts“ die Inhalte nach Rechtswidrigkeiten durchsuchen.

Streng genommen darf auch bei Unterlassungsansprüchen nicht außer Acht gelassen werden, dass gem. Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie / §8 Abs. 2 TDG keine allgemeine Überwachungspflicht hinsichtlich der Inhalte besteht. Streng genommen bezieht sich die oben erörterte Prüfungspflicht nur auf Rechtswidrigkeiten bereits bekannter Inhalte.
Diese Differenzierung wird von der Rechtsprechung aber teilweise nicht sauber auseinander gehalten.

Praxistipp:

Nach der vorherrschenden Rechtsprechung ist ein Betreiber eines Internetforums auf eine Rechtsverletzung – am besten per E-Mail – aufmerksam zu machen. Der Betreiber erhält hierdurch positive Kenntnis vom rechtswidrigen Inhalt und hat deshalb die Pflicht, die Störung unverzüglich zu beseitigen (nach der Rspr. sogar innerhalb 1-2 Tagen). Für den Forenbetreiber entsteht hierdurch darüber hinaus die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft nicht zu „ähnlichen“ Rechtsverletzungen kommt.
Hinweis für Verletzte: Etwaige Anwaltsgebühren für die oben beschriebene sog. „erste Abmahnung“ müssen Sie selbst tragen. Erst wenn ein Forenbetreiber dieser Aufforderung nicht nachkommt, kann er kostenpflichtig abgemahnt oder per einstweiliger Verfügung in Anspruch genommen werden.
Hinweis für Forenbetreiber: Beachten Sie, dass bei dieser oben beschriebenen sog. „ersten Abmahnung“ keine Kosten tragen müssen. Nach einem solchen Hinweis müssen Sie – nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung – aber auch unaufgefordert in Zukunft dafür sorgen, dass es nicht zu „ähnlichen Rechtsverletzungen“ kommen kann (fraglich bleibt dabei, wie dies in der Praxis zu bewerkstelligen ist). Ansonsten können Sie (kostenpflichtig) abgemahnt werden.

Anhang:
Art. 14 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) – E-Commerce-Richtlinie

Hosting

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, sofern folgende Voraussetzungen erfuellt sind:
a) Der Anbieter hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information, und, in bezug auf Schadenersatzansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewußt, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder
b) der Anbieter wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewußtsein erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird.

(3) Dieser Artikel läßt die Möglichkeit unberührt, daß ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, oder daß die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen.

(RA Steinle, LL.M., Fachanwalt für IT-Recht, Externer Datenschutzbeauftragter (IHK), Karlsruhe)